Aktuelle Betriebsbeschränkungen: Entschädigungsansprüche wahren
Das DATEV-Magazin berichtet in einer Meldung vom 17. April 2020 zum Thema Betriebsbeschränkungen und -schließungen:
„Derzeit gelten Betriebsschließungen oder -beschränkungen des Einzelhandels, der Hotellerie und Gastronomie sowie bedingte Dienstleistungen. Es ist fraglich, ob die Maßnahmen rechtmäßig und ohne Entschädigung hinzunehmen sind.
Betriebseinschränkungen können auf Basis des § 28 Infektionsschutzgesetz (lfSG) oder aufgrund von Rechtsverordnungen der Länder erlassen werden – letztere aufgrund einer bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage gemäß § 32 lfSG. Dafür gibt es keine spezialgesetzlichen Entschädigungsregelungen. In der Rechtsliteratur kommt es nun zu Überlegungen mit Blick auf Ausgleichsansprüche bei rechtmäßigem Behördenhandeln. Letztlich dürften diese nur schwer zu begründen sein – aber sind tatsächlich alle Verfügungen rechtmäßig?
Unterschiede in einzelnen Bundesländern
Bereits der Umstand, dass in den Bundesländern teils abweichende Vorgehensweisen bei Untersagungen, aber auch bei den Schritten zur Rückkehr in die Normalität, an den Tag gelegt werden – mit dem gleichen Ziel des Infektionsschutzes –, lassen Zweifel an einem durchgängig rechtmäßigen Vorgehen aufkommen. Unterschiede liegen bei der Fortführung des Betriebs oder der Schließung von Baumärkten, Blumenläden, Friseuren, Weinhandlungen und Kaufhäusern mit Mischangebot. Wirft man einen Blick auf Bayern, Baden-Württemberg sowie Hessen als benachbarte Bundesländer, fällt auf: In Hessen dürfen Baumärkte, Blumenläden und Friseure geöffnet haben. In Bayern hingegen gelten für derartige Betriebe bislang strenge Betriebsschließungen, wobei hinsichtlich der Öffnung von Baumärkten nach einer veröffentlichten Positivliste eine Ausnahme für Handwerker und Gewerbetreibende praktiziert wird. Rechtsverbindlich ist diese Positivliste nicht. Sie dient nur der Auslegung und Interpretation der Rechtsverordnung. Die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) nennt ausdrücklich nur die zu schließenden Gewerbebetriebe sowie Einrichtungen und bezeichnet nicht positiv jene Betriebe, die geöffnet bleiben dürfen. Weiter sind Weinhandlungen in Baden-Württemberg zu schließen, hingegen sie in Bayern geöffnet bleiben dürfen. Hinsichtlich der Einordnung von Kaufhäusern mit Mischangebot trifft die Verordnung in Baden-Württemberg eine ausdrückliche Regelung: Es dürfen auch Sortimentsteile verkauft werden, deren Verkauf ansonsten nicht gestattet ist, wenn der erlaubte Sortimentsteil überwiegt; sollte der verbotene Teil überwiegen, darf nur der erlaubte Teil verkauft werden, wenn eine räumliche Trennung erfolgt. In Bayern gelten dieselben Grundsätze, jedoch sind diese nicht in der BayIfSMV geregelt, sondern ergeben sich nur aus der Positivliste über die Geschäfte, die weiterhin geöffnet haben dürfen. Auch die von Bundes- und Landesregierungen angekündigten Maßnahmen zur Rückkehr in die Normalität beginnen in den einzelnen Bundesländern in zeitlich unterschiedlicher Abstufung: So dürfen unter anderem in Hessen und Baden-Württemberg Geschäfte bis 800 qm unter Vorlage eines Hygienekonzepts bereits ab 20.04.2020 wieder öffnen, in Bayern hingegen erst ab 27.04.2020.
Erste Entscheidungen der Verwaltungsgerichte
Seit Mitte März wurden eine ganze Reihe verwaltungsgerichtlicher Eilverfahren geführt, die sich gegen eine Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung direkt wandten. Über die Anträge mit gewerblichem Bezug ist für die Antragssteller meist negativ entschieden worden. Das Verwaltungsgericht (VG) Aachen lehnte zwei Eilanträge von Betreibern einer Lottoannahmestelle sowie eines Pralinenfachgeschäfts ab, die sich gegen die Schließung ihrer Betriebe gewandt hatten. Ähnlich entschied auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster über den Antrag einer GmbH, die Haushaltswaren und Geschenkartikel vertreibt: Diese Betriebe dienten nicht der Grundversorgung der Bevölkerung und die getroffenen Maßnahmen seien zur Risikominimierung bezüglich der Ansteckung einer größeren Anzahl von Menschen erforderlich.
Allerdings ist darin kein Freibrief für Beschränkungen jeglicher Art zu sehen ist, wie weitere Entscheidungen zeigen, die Anlass für Zweifel an der Rechtmäßigkeit mancher Anordnung geben können. So war ein Eilantrag eines Weinhändlers vor dem VG Aachen (Beschluss vom 3.4.2020 – 7 L 259/20) erfolgreich. Das Gericht entschied, dass auch Lebensmittel, die Genussmittel seien, trotz Corona-Pandemie verkauft werden dürfen. Der Begriff „Lebensmittel“ sei weit zu verstehen und dürfe nicht auf die zur Grundversorgung erforderlichen Speisen und Getränke beschränkt werden. Das Gericht sah den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da das Ziel der Verordnung, die Eindämmung des Virus, in allen Lebensmittelläden gleichermaßen durch die Einhaltung strenger Hygieneanforderungen – als milderes Mittel – erreichbar sei. Auch das OVG Weimar (Beschluss vom 7.4.2020 – 3 EO 236/20) bestätigte die Rechtswidrigkeit der Schließung eines Ladengeschäfts, in dem alkoholische Getränke, Schokolade, Tee, Kaffee und Feinkostartikel angeboten werden, da während der Corona-Pandemie nicht nur der Lebensmittelhandel zur Grundversorgung erlaubt sei.
Rechtliche Würdigung
Die dargelegten Entscheidungsgründe werfen die Frage auf, warum die Rechtmäßigkeit einer Anordnung anhand einer Abgrenzung nach dem Verkauf von Lebensmitteln und Genussmitteln zu beurteilen sein sollte. Daraus resultiert eine staatliche Bedarfsprüfung, die nicht Ziel der Anordnungen ist. Betriebsbeschränkungen sollen die Ausbreitung des Corona-Virus vermeiden. Demzufolge sollte das Augenmerk darauf liegen, ob die jeweilige Betriebsuntersagung für die Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, beziehungsweise ob es nicht durch Einhaltung von strengen Hygienevorschriften, Mindestabständen sowie Höchstkundenzahlen erreicht werden könnte, so dass eine Abgrenzung hinsichtlich des Zwecks der Maßnahme und der tatsächlichen Umsetzbarkeit erfolgen sollte. Diese Überlegungen lassen die Abgrenzung von Einzelhandelsgeschäften, die öffnen dürfen und solchen, die weiterhin geschlossen bleiben müssen, alleine nach ihren Verkaufsflächen als „gegriffen“ – in rechtlichen termini: als nicht sachlich begründet und das Normsetzungsermessen überschreitend – erscheinen.
Weiterhin müsste die Maßnahme zur Erreichung des Ziels geeignet, das mildeste Mittel und angemessen sein, so dass fraglich erscheint, ob umfassende Betriebsbeschränkungen in zahlreichen Branchen verhältnismäßig sind. Dauerhafte Beschränkungen dürften, wenn das Ziel mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreicht werden könnte, rechtswidrig sein. Daher sind bestehende Anordnungen fortlaufend auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen.
Weiter müssten Ausnahmeregelungen vorgesehen sein. Es fällt auf, dass kaum ein Verwaltungsgericht von einer gesicherten Rechtmäßigkeit der bisherigen Anordnungen ausgeht, sondern im Zuge der summarischen Prüfung Folgenabwägungen durchgeführt wurden. Das OVG Mannheim betont (Beschluss vom 9.4.2020 – 1 S 925/20, betreffend den Betrieb eines Fitnessstudios), dass die Schließung einer Vielzahl von Verkaufsstellen von einer sehr beträchtlichen Eingriffstiefe sei und die Intensität dieses Eingriffs in die Berufsfreiheit für jeden einzelnen Betrieb ausgesprochen hoch sei. Denn der Eingriff führe für mehrere Wochen zu einem weitgehenden oder vollständigen Wegfall jeglichen Umsatzes. Es bezeichnet die Aussichten in der Hauptsache als „offen“.
Empfehlung an Betroffene zur Rechtswahrung
Ein Verhalten nach dem Motto „Dulde und liquidiere“ führt regelmäßig nicht zu Entschädigungen. Zunächst ist Primärrechtsschutz zu ergreifen; dann kann es zu Ausgleichsansprüchen kommen. Eine etwaige Entschädigung würde bei bloßem Dulden der Beschränkungen versagt werden. Das betroffene Unternehmen, das sich zu Unrecht in seinem Betrieb eingeschränkt fühlt, sollte einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung stellen, darin die bereits eingetretenen und im Falle der Fortdauer der Betriebsunterbrechung zu gewärtigenden Folgen darstellen und weiterhin die von ihm vorgesehenen Schutzmaßnahmen, um Infektionen von Mitarbeitern und Kunden auszuschließen. Hierauf muss eine begründete behördliche Entscheidung ergehen, die im Falle der Versagung des Antrags den verwaltungsrechtlichen Rechtsweg eröffnet. Mittels Klage ist die Angelegenheit wenigstens offen zu halten, bis die weitere Rechtsentwicklung eine retrospektive Beurteilung der Rechtmäßigkeit derzeitiger Betriebseinschränkungen sowie die Begründung von Entschädigungsansprüchen erlaubt.“